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„Stell dir vor, es ist Krieg…“ Podiumsdiskussion im Max-Rill-Gymnasium

„Stell dir vor, es ist Krieg…“ – unter diesem Motto veranstaltete das Max-Rill-Gymnasium in Reichersbeuern (am 2.4.2022) eine Podiumsdiskussion über den derzeitigen russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Sie wurde aufmerksam verfolgt von Schülern, Eltern, Lehrern und einigen der über 30 ukrainischen Flüchtlinge, die in einem Internatshaus der Schule untergebracht sind. Ergreifend war das einleitende Klavierspiel des Jugendlichen Fillipp Eck, der mit seiner Familie Ende Februar aus seiner Heimatstadt Charkiv fliehen musste. Seine dem Publikum gezeigten Handy-Videos und Fotos von Bombenangriffen, ließen keinen Zweifel an der furchtbaren Realität des Krieges.

„In Russland müssen die Menschen sich dennoch seit einem Monat vorstellen, dass Krieg ist… “, erklärte Moderator Dr. Nikolaus Frei anfangs die Titelwahl für die Veranstaltung und ergänzte: „…wenn die Menschen das überhaupt wollen und können. Denn von einem Krieg darf ja nicht gesprochen werden“. In zwei Themenblöcken diskutierten die Podiumsteilnehmer über „Die Ukraine und die ‚russische Welt‘“ und den Zusammenhang von „Propaganda und Patriotismus“. Historiker Benjamin Henninger veranschaulichte die Bezüge zum Untergang der Sowjetunion, der in Russland offenbar noch immer „Phantomschmerzen“ verursache. Die in Kiew geborene Philologin Luba Zoreva ergänzte zum Verhältnis Russland-Ukraine das Bild vom „großen und kleinen Bruder“, das sich seitens der Russen sehr gut in die Kindererziehung einbeziehen ließe: Der große Bruder könne „beschützen, aber eben auch bestrafen“. Von ihrer in Russland lebenden Verwandtschaft fühle sie sich dieser Tage manchmal auch wie von einem „großen Bruder“ behandelt, wenn sie über die derzeitige militärische Auseinandersetzung sprechen wolle, ergänzte Zoreva. Schulleiterin und Slawistin Carmen Mendez berichtete von ihren Erfahrungen aus der DDR und wie es war, in einem von der sowjetischen Diktatur kontrollierten System aufzuwachsen. „Schon als Kind wird man spielerisch an militärische Operationen herangeführt“, erklärte sie und las dazu Auszüge aus ihrem Kindertagebuch vor, in dem sie als Zwölfjährige Erfahrungen von Manövern wie Minen entschärfen beschrieben hatte. Auch bei Besuchen der Austauschschulen in Russland habe sie erlebt, wie junge Menschen so sozialisiert und erzogen werden, „dass man Krieg als Auseinandersetzung akzeptiert.“ Vielleicht sei das Gefühl militärischer Stärke und Überlegenheit auch ein Grund, warum man aktuell in Russland auf den falschen Erzählungen von der kriegerischen Realität in der Ukraine beharre, mutmaßte Frei: einfach, weil man sich dadurch ermächtigt fühle, „zu glauben und zu sagen, was man will“.
Besondere Aufmerksamkeit erfuhr der ehemalige Internatsschüler Andrey Stepanov, der live aus dem türkischen Antalya zugeschaltet war. Er hatte seine Heimatstadt Moskau Anfang März – nachdem er dort wahllose Verhaftungen in der Öffentlichkeit beobachtet hatte – verlassen und sich auf eine Odyssee über Armenien, Georgien und Türkei in Richtung Deutschland gemacht. „Es war eher ein Exodus“, präzisierte Stepanov, „aber im Moment ist das, was passiert eine ‚Perestroika in die andere Richtung‘“. Zurückkehren wolle er erst, wenn so etwas wie „Menschenrechte“ in seiner Heimat wieder akzeptiert würden. Nach knapp 90 Minuten war die Diskussion beendet und Teilnehmer wie Zuhörer machten sich nachdenklich und sichtlich betroffen auf den Heimweg vom „Tag der offenen Tür“, der gleichzeitig am Max-Rill-Gymnasium veranstaltet worden war.